Weekly Reports of TRANSDRIFT VII

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Karasee, 24. August 1999

Während unserer Anreise und an Bord YAKOV SMIRNITSKIY war alles sehr gut organisiert, so dass wir pünktlich am 19. August 1999 um 9.00 Uhr in Archangelsk ausgelaufen sind. Seitdem fahren wir entlang der nördlichen Route der Nordostpassage in Richtung Laptewsee. Unsere Eislotsen haben diese ca. drei Tage länger dauernde Route gewählt, weil in der südwestlichen Karasee ungewöhnlich schwere Eisverhältnisse herrschen. Wir sind deshalb zunächst zum Nordkap von Nowaja Semlja gefahren, wo wir am 22. August die Eisbrecher ARKTIKA und TAYMYR getroffen haben. Gemeinsam mit der ARKTIKA und einem Erzfrachter ging es dann weiter. Wir sind auf große Packeisfelder gestoßen, die wir jedoch problemlos mit Hilfe der ARKTIKA durchqueren konnten. Seit heute morgen warten wir ca. 70 Seemeilen nördlich von Dikson auf den Eisbrecher YAMAL, der uns durch die Wilkizkistraße in die Laptewsee begleiten wird. Die lange Anreise in unser Arbeitsgebiet nutzen wir, um unsere Labors einzurichten und die umfangreichen Stationsarbeiten vorzubereiten. Dabei genießen wir die ruhige und freundliche Atmosphäre an Bord der YAKOV SMIRNITSKIY, die uns hilft, den Sommer für die nächsten Wochen zu vergessen. Die 1977 in Finnland gebaute YAKOV SMIRNITSKIY ist ein eisgängiges, 69 m langes russisches Forschungsschiff mit 26 Besatzungsmitgliedern, die sehr gut auf unsere Forschungsarbeiten vorbereitet sind.

Die Stimmung an Bord ist sehr gut, und wir freuen uns auf unsere Stationsarbeiten in der zur Zeit noch eisfreien Laptewsee, die wir voraussichtlich am Donnerstag beginnen können.

Herzliche Grüße aus der Karasee,

Heidemarie Kassens und alle Expeditionsteilnehmer

 

6. September 1999

Spätsommer : Bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen um den Gefrierpunkt ist in der Laptewsee nach einem mehrere Tage andauernden Sturm nun wieder Ruhe eingekehrt. In der östlichen Laptewsee haben wir bereits ein umfangreiches fächerübergreifendes Arbeitsprogramm durchgeführt, welches wir allerdings für zwei Tage wegen der schlechten Wetterverhältnisse unterbrechen mussten. Wir befinden uns jetzt auf dem Weg in die westliche Laptewsee. Hier werden wir versuchen, in Gebiete vorzudringen, die normalerweise von einer mächtigen Eisdecke bedeckt und deshalb kaum oder gar nicht erforscht sind. Phantastische Einblicke: Höhepunkt für die sechzehn Wissenschaftler an Bord der YAKOV SMIRNITSKIY war die erfolgreiche Bergung der zwei autonomen Langzeitmessstationen LENA und YANA, die während der TRANSDRIFT-V-Expedition mit FS POLARSTERN am Meeresboden verankert worden sind. Sie haben während der letzten dreizehn Monate 1,6 Millionen Umweltdaten wie Strömung, Temperatur, Salzgehalt, Eisbedeckung sowie Sauertoff- und Partikelkonzentration registriert. Damit gelangen zum ersten Mal kontinuierliche Beobachtungen über mehrere Jahreszeiten hinweg, und die Momentaufnahmen der bisherigen Expeditionen werden so zu einem vollständigen Bild. Auch die Zeit des langen sibirischen Winters – fast neun Monate im Jahr –, in der wegen einer bis zu 2,5-m-mächtigen Eisdecke keine Schiffsexpeditionen möglich sind, wurden jetzt erfasst. Erste Einblicke in diesen alle Erwartungen übertreffenden Datenschatz zeigen u.a. einen ausgeprägten Tagesrhytmus von kleinen Krebsen in der Wassersäule: Nachts wird nahe der Oberfläche gefressen und am Tage suchen die Krebse tiefere Bereiche auf, um sich vor Feinden zu schützen. Überrascht waren die Biologen, dass dieses Phänomen sogar während der Polarnacht registriert werden konnte. Außerdem haben die Stationen erstmals die Transportwege von Fluss- und Meeresbodenablagerungen detailliert erfasst. Dicht über der Meeresbodenoberfläche befindet sich eine bis zu 5 m mächtige Schicht aus unterschiedlichen Partikeln und Kleinstlebewesen, die sich mit z.T. hoher Geschwindigkeit vom Lena-Delta in Richtung Nordpolarmeer bewegt. Dieses Ergebnis konnte auch mit Unterwasserkamerasystemen und optischen Messsonden bestätigt werden.

Wir möchten in diesem Zusammenhang nochmals einen großen Dank an die Kapitäne und Besatzungsmitglieder von der POLARSTERN und der YAKOV SMIRNITSKIY aussprechen. Sie haben durch ihren professionellen Einsatz beim Verankern und Bergen der Stationen den Grundstein für unseren einzigartigen Datenschatz gelegt.

Vorteile hatte das schlechte Wetter jedoch auch: So haben wir die Zeit des Abwettern genutzt, um am Strand der heute unbewohnten Insel Muostach frischen Fisch zu fangen. Zum Erstaunen der Besatzung haben dabei einige Wissenschaftler sogar ein Bad in der eiskalten Laptewsee genommen. Außerdem haben wir am 3. September die Teilnehmer der Expedition LENA 99 in der Nähe der Halbinsel Bykowski getroffen, um erste Ergebnisse auszutauschen.

Obwohl wir seit Tagen rund um die Uhr arbeiten, ist die Stimmung an Bord sehr gut, und wir alle sind wohlauf.

Herzliche Grüße,

H. Kassens und alle Expeditionsteilnehmer

 

14. September 1999

Am 9. September haben wir unsere Forschungsarbeiten in der nordwestlichen Laptewsee abgeschlossen und befinden uns z.Zt. auf der Rückreise nach Archangelsk. Wir haben hervorragende Eis- und Wetterverhältnisse, so dass wir wie geplant am 16. September dort eintreffen werden. Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Sankt Petersburg werden wir dann am Samstag in Hamburg ankommen. Wir hoffen, dass das schöne Wetter bis dahin in Deutschland anhält, damit wir noch einige Sommertage genießen können. Während unserer Passage durch die Karasee kam es zu einem überraschenden Wiedersehen mit dem Forschungsschiff IVAN KIREJEV, dem Schiff unserer ersten TRANSDRIFT-Expedition 1993, sowie dem Eisbrecher TAYMYR. Der Kapitän der TAYMYR, den einige von uns von der TRANSDRIFT-V-Expedition kennen, nutzte sogar die Gelegenheit, uns zu einem Besuch einzuladen.

Wir haben unser Arbeitsprogramm an 31 Stationen erfolgreich durchführen können. Im Mittelpunkt stand dabei der Einsatz von modernen Messinstrumenten, mit denen hochauflösend eine Vielzahl von unterschiedlichen Umweltparametern in der Wassersäule und am Meeresboden registriert werden können. So ist es erstmals gelungen, wichtige Schlüsselelemente zu erfassen, die eine realistische Modellierung der heutigen Umweltbedingungen in der Laptev-See ermöglichen. Besonders wichtig sind dabei die Ergebnisse unserer Bodenstationen, die über ein Jahr lang zuverlässig gemessen haben. Die Messgeräte der Bodenstationen wurden nach einer kurzen Wartung erneut an den folgenden Stationen eingesetzt, um u.a. die Abflussraten der großen sibirischen Flusssysteme zu erfassen. Damit ist es möglich, das komplizierte Zusammenspiel zwischen den unterschiedlichen Wassermassen in der Laptev-See zu beschreiben und den Transport von z.B. Nährstoffen und Meeresbodenablagerungen zu erfassen. Die Auswertung dieser umfangreichen Datensätze wird zwar noch einige Zeit in Anspruch nehmen, aber bereits jetzt zeigt sich, dass das System empfindlich auf Veränderungen reagiert.

Aufgrund der guten Eisverhältnisse konnten wir in diesem Jahr bis weit in den Norden vordringen, um dort erstmals Proben in einem sonst unzugänglichen Gebiet zu nehmen. Erstaunlich ist, dass hier neben den typischen arktischen Lebensgemeinschaften sowohl biologische Anzeiger für Flusswasser als auch für atlantische Wassermassen nachgewiesen werden konnten. Wie die Tiere (Shrimps und Muscheln) den langen Weg vom Atlantik bis in die Laptewsee gemeistert haben, soll u.a. die Auswertung der ozeanographischen und meereschemischen Daten zeigen. Im Mittelpunkt des biologischen Arbeitsprogrammes standen in der Wassersäule lebende Kleinstlebewesen (z.B. Krebse). Ihre Rolle in der Nahrungs- und Energiebilanz des Ökosystems soll untersucht werden. Dazu wurden Proben für Fettgehaltsbestimmungen von Algen und Tieren genommen sowie der Sauerstoffverbrauch der Tiere gemessen. Hierbei hat sich gezeigt, dass die Tiere je nach Art auch im Spätsommer noch sehr aktiv sein können.

Wir haben eine schöne und interessante Zeit an Bord der YAKOV SMIRNITSKIY verbracht. Das bedeutet für uns nicht nur eine schöne Erinnerung, sondern auch einen ganzen Batzen Auswertearbeit für die nächsten Jahre. Der Einsatz von moderner Technik, eine professionelle Besatzung, ein gut eingespieltes Wissenschaftlerteam und außergewöhnlich gute Eis- und Wetterverhältnisse waren dabei wichtige Voraussetzungen für den Erfolg dieser Expedition.

Herzliche Grüße und bis bald,

H. Kassens und alle Expeditionsteilnehmer