Weekly Reports of TRANSDRIFT IV
17. Mai 1996
Liebe Freunde und Kollegen,
nach einer langen und abwechslungsreichen Anreise sind wir am 16. Mai um 20:00 Uhr Ortszeit (+9 Stunden UTC) auf der Lena-Nordenskiold-Station angekommen. Mittlerweile haben wir uns hier eingerichtet, so daß wir bereits heute um 16:30 Uhr vor unserer Haustür an der Lena mit unseren Messungen beginnen konnten. Die Station ist im Prinzip sehr gut für unsere Forschung geeignet. Nur die Verbindung zur Außenwelt ist zur Zeit unterbrochen. Wir hoffen jedoch, daß das so schnell wie möglich behoben werden kann. Die Temperaturen schwanken zwischen -12°C und +12°C (in der Sonne). Die Stimmung ist sehr gut, und wir werden durch Dr. E. Antonow mit kulinarischen Leckerbissen verwöhnt.
Herzliche Grüße,
H. Kassens, B. Rohr und alle Expeditionsteilnehmer
28. Mai 1996
Liebe Freunde und Kollegen,
Sibirien im Frühling: Schneestürme, Nebel, Temperaturen zwischen -15°C und +8°C sowie herrlicher Sonnenschein. Diese drastischen Wetterunterschiede prägen und bestimmen unseren Arbeits- und Tagesablauf. So hat unsere hochmoderne Technik, z.B. die Eisbohrer, bereits während der ersten Einsätze auf dem Eis versagt. Gut, daß es die altbewährten und immer funktionstüchtigen russischen Geräte gibt.
Insgesamt gehen die Stationsarbeiten jedoch sehr gut voran. Bisher haben wir neben unserer Hausstation ein umfangreiches Arbeitsprogram an 22 Stationen im Bereich des nördlichen und östlichen Lena-Deltas sowie in der Laptewsee-Polynja durchgeführt. Als Transportmittel stehen uns ein Hubschrauber (MI 8-2), ein Kettenfahrzeug und Skidos zur Verfügung.
Unser Arbeitstag beginnt mit dem Eintreffen des Hubschraubers aus Tiksi zwischen 9:00 und 9:30 Uhr. Nach dem Beladen mit den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Geräten starten dann zwölf Expeditionsteilnehmer in Richtung Laptewsee. Angekommen auf der Station, wird sofort, noch bei laufenden Rotoren, die Eisdicke gemessen. Liegt sie unter 60 cm, startet der Hubschrauber erneut, um eine bessere Position zu finden. Danach läuft alles nach einem routinemäßigen Schema: Ein großes Zelt wird aufgestellt, mehrere Eislöcher werden gebohrt, und dann beginnen die bis zu vier Stunden laufenden Messungen am Meeresboden, in der Wassersäule und auf dem Eis. Nach ca. zwölf Stunden ist der an den Kräften zehrende Arbeitstag auf dem Eis dann beendet. Zurück auf der Nordenskiold-Station wird dann erstmal zu Abend gegessen, und die Sauna wird besucht. Nach weiteren drei bis vier Stunden, in denen die Proben gefiltert und analysiert werden, ist dann endlich Feierabend.
Am 26. Mai gegen 14:00 Uhr war es soweit, die Lena erwachte aus ihrem Winterschlaf. Innerhalb von wenigen Stunden stieg der Wasserpegel der Lena um mindestens einen Meter an. Am nächsten Tag waren es dann schon über zwei Meter, so dass wir unsere Hausstation am Ufer der Lena nicht mehr erreichen konnten. Eine Winde, die wir dort fest installiert hatten, konnte nur noch mit viel Mühe aus dem eisigen Wasser gerettet werden. Kettenfahrzeuge und Skidos können jetzt nicht mehr eingesetzt werden, d.h. die Geländearbeiten und der Kontakt zur Außenwelt beschränken sich auf den Hubschrauber. Da die Charterkosten für den Hubschrauber aber sehr hoch sind, müssen alle Arbeiten gut geplant werden, was bei den herrschenden Wetterverhältnissen nicht immer einfach ist. Dazu kommt die fehlende Telefonverbindung nach Tiksi.
Die sechzehn Bewohner der Lena-Nordenskiold-Station sind gesund und guter Dinge und warten gespannt auf die weiteren Stationsarbeiten.
Herzliche Grüße,
A. Anoshkin, E. Antonow, M. Antonow, V. Churun, I. Dmitrenko, N. Formichev, B. Fürst, V. Haase, J. Hölemann, H. Kassens, S. Pivovarov, B. Rohr, M. Schirmacher, C. Strobl, S. Utschakowski, A. Viznevskiy
9. Juni 1996
Vier Wochen sind einfach zu wenig: Diesen Satz haben wir während der letzten Tage oft gehört. Sibirien kann wirklich faszinierend sein. Gerade jetzt zu Beginn des Frühlings, wenn Tausende von Vögeln zurückkehren und die Tundra immer mehr vom Schnee befreit wird. Der monotone Klang von unseren Generatoren und der pfeifende Wind wurden nun abgelöst vom Rauschen der Lena und dem Gesang der Vögel. Damit haben jetzt auch die Ornithologen vom Lena-Delta-Reservat, die den gesamten Sommer hier verbringen werden, alle Hände voll zu tun.
Der Flußaufbruch ist schon sehr weit fortgeschritten, und die Arbeiten an unserer Hausstation sind deshalb nur noch mit viel Einfallsreichtum durchzuführen. Damit hat es bisher auch kaum Einschränkungen bei der Probennahme gegeben. Nur die oft vorherrschenden starken Winde und Temperaturen um den Gefrierpunkt sorgen immer wieder dafür, daß die Schläuche der Wasserpumpe zufrieren. Hier konnte nur noch ein Heizlüfter helfen, dem leider der Steuerungscomputer der Pumpe zum Opfer gefallen ist.
Was jetzt noch fehlt, ist der Eisgang, der in den nächsten Tagen auch hier erwartet wird. Starker Eisgang herrscht bereits 200 km südlich von der Lena-Nordenskiold-Station. So haben wir am 7. Juni während eines sehr interessanten Hubschrauberfluges entlang der Lena bis zu 10 m hoch aufgestautes Eis beobachtet. Bei uns steigt der Pegel der Lena stündlich, so daß er bereits 4 bis 5 m höher liegt als zu Beginn der Expedition. Damit hat sich auch die Farbe der Lena, die während des Winters nur glasklares Wasser geführt hatte, deutlich geändert. Dunkelbraun und mit vielen Partikeln verstopft es nun unsere Filter, so daß unsere Filtrierpumpen Tag und Nacht laufen müssen.
Die Stationsarbeiten in der Laptewsee können ohne Einschränkungen weiter durchgeführt werden. An unsgesamt 37 Stationen nördlich und östlich des Lena-Deltas haben wir bereits unser Arbeitsprogramm erfolgreich durchführen können. Besonders beeindruckend war dabei ein N/S-Profil vom Festeis über die eisfreie, über 30 km breite Wasserfläche der Polynja in das Packeis. Die Polynja ist ein einzigartiger Lebensraum mit hohen Nährstoffgehalten in der sonst so kargen Arktis. Sie ist ein Paradies für viele Zugvögel, darunter auch Gänse, die in Norddeutschland überwintern, und für Hunderte von Walrössern und Seehunden.
Insgesamt sind die hier erstmals durchgeführten Untersuchungen eine wissenschaftliche Überraschung, denn es ist mal wieder alles anders, als wir erwartet haben. So zeichnet sich die Wassersäule im Bereich der Polynja durch extrem hohe Salinitätswerte aus. Bedauerlich ist, daß wir zur Zeit keine Möglichkeit haben, weitere Unteruschungen in diesem für das Umweltsystem der Laptewsee so wichtigen Gebiet durchzuführen.
Die letzte Woche unserer Expedition ist bereits fest verplant: Neben den täglichen Stationsarbeiten, die in dieser Woche sehr umfangreich sein werden, wird am Dienstag der Umweltminister von Jakutien zu einem Informationsbesuch eintreffen. Begleitet wird die Delegation von jakutischen Journalisten, die über unsere Arbeiten im Fernsehen berichten wollen.
Pünktlich zum Flußaufbruch ist am 6. Juni 1996 ist nun auch der 21. Expeditionsteilnehmer, Herr Thiede, auf der Lena-Nordenskiold-Station eingetroffen. In der Lena-Nordenskiold-Station sind alle gesund, und die Stimmung ist sehr gut.
Herzliche Grüße,
A. Anoshkin, E. Antonow, M. Antonow, V. Churun, I. Dmitrenko, N. Formichev, B. Fürst, V. Haase, J. Hölemann, H. Kassens, S. Pivovarov, B. Rohr, M. Schirmacher, C. Strobl, J. Thiede, S. Utschakowski, A. Viznevskiy