Weekly Reports of TRANSDRIFT III

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7. Oktober 1995 (77°00'N, 131°00'E)

Liebe Freunde und Kollegen,

nach einer sehr schönen und eindrucksvollen Anreise erreichten wir abends am 28. Oktober Murmansk. Die Reise begann am 27. Okotber mit dem Flug von Hamburg nach Helsinki. Am nächsten Morgen ging es mit dem Flugzeug weiter nach Ivalo in Nordfinnland, wo wir von einem finnischen Reisebus erwartet wurden, der uns zu dem kleinen Grenzort Lotta brachte. Von dort aus dauerte die Fahrt sechs Stunden durch eine kaum bewohnte, wunderschöne Herbstlandschaft.

Die Tage vor Expeditionsbeginn waren durch letzte Vorbereitungen wie z.B. das Aufstellen und Einrichten der Laborcontainer an Bord der KAPITAN DRANITSYN ausgefüllt. Damit das Schiff mit Getränken etc. versorgt ist, hat Sergej Neufeld sein Talent im Organisieren bewiesen. Für einige Teilnehmer blieb auch Zeit für ein wenig Sightseeing.

Am 1. Oktober um 9:00 Uhr ging es dann an Bord. Das Technikteam Bernhard Peregovich, Veit Haase und Sergej Neufeld hatte alle Hände voll zu tun, da die Geräte zum Beproben des Meeresbodens wie Großkastengreifer und Vibrocorer im Hafen aufgebaut werden mußten. Insgesamt war die Mannschaft der KAPITAN DRANITSYN sehr gut auf unsere Expedition vorbereitet und bereitete uns einen netten Empfang. Nach Einschiffung der Expeditionsteilnehmer und Erledigung der Ausreiseformalitäten hieß es dann pünktlich um 18:00 Uhr Leinen los, und die KAPITAN DRANITSYN verließ, nun leider bei strömendem Regen, den Hafen von Murmansk. Die 1980 in Finnland gebaute KAPITAN DRANITSYN ist ein 133,3 m langer russischer Eisbrecher (Murmansk Shipping Company) der Sorokin-Klasse. Auf insgesamt zehn Decks können 95 Besatzungsmitglieder (z. Zt. 71) und 105 Passagiere untergebracht werden. Mit ihren 24.840 PS, die eine Geschwindigkeit von maximal 19 kn erlauben, gehört sie zu den stärksten konventionell betriebenen Eisbrechern auf der Welt.

Mit ca. 16 kn Durchschnittsgeschwindigkeit ging es dann bei gutem Wetter und ruhiger See in Richtung Laptewsee. In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober passierten wir bereits die Karastraße. Von dort aus ist es durch die Wilkizkistraße, der normalerweise schwierigste Teil der Route, nur noch ein "Katzensprung" in die Laptewsee. Es herrschten jedoch außergewöhnlich gute Wetterverhältnisse, d. h. es war mit 5 bis 6°C ungewöhnlich warm, stürmisch und damit eisfrei. Laut Statistik des russischen Eisdienstes hat es solche Bedingungen während der letzten fünfzig Jahre nicht gegeben. Kurz vor Erreichen der Laptewsee wurde es plötzlich kälter (-5°C), und wir konnten die ersten Stadien der Eisbildung beobachten.

Rückblick: Im gleichen Gebiet sah es 1993 und vor allem 1994 während der TRANSDRIFT-I- und TRANSDRIFT-II-Expeditionen völlig anders aus. So steckten wir 1994 in der Wilkizkistraße zweieinhalb Wochen in dichtem Packeis fest.

In der Rekordzeit von knapp fünf Tagen passierten wir am 5. Oktober Kap Tscheljuschkin und änderten dann aufgrund der ungewöhnlichen Eisverhältnisse die vorgesehene Fahrtroute in Richtung Bolschewik-Insel. So konnten wir am 6. Oktober um 7:00 Uhr mit den Stationsarbeiten im Eis auf 80°10'N und 102°31'E beginnen. Wegen der zu großen Wassertiefe von 85 m an dieser Stelle kamen die Geräte für die Geologie nicht zum Einsatz. Dafür waren fast alle Expeditionsteilnehmer zur Probennahme auf dem Eis, und es wurden Hubschraubereinsätze zur Eiserkundung und Probennahme auf bis zu 600 m langen Eisbergen geflogen.

Die Mannschaft der KAPITAN DRANITSYN sowie die Hubschrauberpiloten haben diese Arbeiten sehr hilfsbereit und professionell unterstützt. Generell tut die Schiffsleitung alles, um unsere Expedition zu einem Erfolg zu führen. Dazu gehören auch eine gute Verpflegung, Unterkünfte, die Sauna und das Schwimmbecken.

Zur Zeit befinden wir uns auf dem Weg zu unserer zweiten Station nordwestlich der Neusibirischen Inseln. An Bord sind alle gesund, und die Arbeitsatmosphäre ist ausgezeichnet.

Herzliche Grüße,

H. Kassens, B. Rohr, J. Thiede und alle Expeditionsteilnehmer

 

16. Oktober 1995 (75°27'N, 130°41'E)

Liebe Freunde und Kollegen,

zur Halbzeit haben wir bereits 48 Stationen im Bereich der nördlichen und südöstlichen Laptewsee (Insel Kotelny, Jana-Bucht) durchgeführt und setzen unsere Fahrt mit Volldampf fort. Die Stationsarbeiten konnten bisher aufgrund des ungewöhnlich milden Herbstes fast uneingeschränkt durchgeführt werden.

Die langersehnte Eisbildung hat – zwar deutlich verspätet – jetzt doch eingesetzt, so daß nun auf dem Eis, in der Wassersäule und am Meeresboden, d. h. auf allen Ebenen, gearbeitet werden kann. Der Tag mit durchschnittlich sechs Stunden Tageslicht gehört dabei den Eisforschern, den Meereschemikern, den Biologen und den Geologen. So werden mit dem Hubschrauber Eisstationen im Küstenbereich angeflogen. Zudem wird das Eis an Bord vom Mummy Chair oder von der Gangway aus beprobt. Bei ganz dünnen Eisschichten wird das Eis mit Hilfe von Netzen gefischt. Währenddessen überwachen die Biologen den Meeresboden mit einem großen technischen Aufwand. Dabei wurde festgestellt, daß es in Küstennähe kaum Leben auf dem Meeresboden gibt. Die wenigen Tiere, die gefangen wurden, werden in Aquarien gehalten, um ihren Lebensrhythmus und ihre Freßgewohnheiten in dieser unwirtlichen Welt nachzuvollziehen. Häufig ist der Meeresboden gefroren oder mit einer Eisschicht bedeckt, was die Geologen-Herzen nicht gerade höher schlagen läßt, denn leider wird die Sedimentkernentnahme dadurch deutlich eingeschränkt. Nichtsdestotrotz haben die Geologen bereits drei lange (bis 2,33 m) und einige kurze Sedimentkerne entnommen. Dabei wurden sie vom Kapitän am Kastengreifer tatkräftig unterstützt, den es in seiner Begeisterung für den Meeresboden nicht mehr auf der Brücke hielt. Die Sedimente, die in Küstennähe gewonnen wurden, zeichnen sich durch eine ungewöhnliche Zusammensetzung und Konsistenz aus, die nun in den Labors näher untersucht werden.

Die Nacht gehört den Ozeanographen und Meereschemikern, die es jetzt bei ca. 9/10 Neueisbedeckung (bis zu 20 cm) nicht immer leicht haben, ihre Messungen durchzuführen. Trotz aller Schwierigkeiten bahnt sich eine kleine Sensation an, denn die Wassersäule in der Laptewsee zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Schichtung aus, deren Zentrum durch eine Warmwasserlinse dominiert wird. Die Herkunft und Entstehung dieser Linse ist bislang unbekannt. Die Planung all dieser Arbeiten wird durch die Meteorologen und Fernerkundler an Bord unterstützt, die uns am Anfang der Expedition den Weg zum Eis und nun durch das Eis zeigen.

Insgesamt sind die Stationsarbeiten eingespielt und die bisher erzielten Ergenisse so interessant, daß eine Verlängerung von vielen Expeditionsteilnehmern gewünscht wird, aber keine Angst, Kapitän Agafonov wird uns pünktlich wieder abliefern. Die Mannschaft arbeitet routiniert mit. Wir zehn Frauen haben "unsere Männer" im Griff.

Leider gibt es auch von einem kleinen Unfall zu berichten. Bei der ersten Eisstation im Küstenbereich ist Fernando Delgado auf dem Eis ausgerutscht und hat sich eine Bänderdehnung zugezogen, die er jetzt, umsorgt von seinen Kollegen und der Mannschaft, auskuriert.

Das Wetter war einfach traumhaft, der klare Himmel und die Sonne locken selbst Seehunde auf die Eisschollen, die uns bei der Arbeit zusehen. Am Tage herrschen Temperaturen von -6 bis -9°C, nachts -12 bis -16°C. Die Arbeiten an Deck und auf dem Eis sind dadurch sehr anstrengend, vor allem bei dem starken Wind, der häufig über das Deck fegt. Nachts dagegen erschweren Schneestürme den Einsatz der ozeanographischen Geräte. Für alle Ncht-Ozeanographen und -Meereschemiker bietet der Schnee Anlaß zu ausgedehnten Schneeballschlachten. Weitere sportliche Betätigung erhalten wir durch das ständige Treppensteigen von Deck 4 bis Deck 10.

Zur Zeit befinden wir uns erneut auf dem Weg zum Lena-Delta. An Bord sind alle gesund und guter Dinge.

Herzliche Grüße,

H. Kassens, B. Rohr, J. Thiede und alle Expeditionsteilnehmer