18. Oktober 2019
Mit Professor Multanovskiy um die halbe Welt
Unsere russische Arktis-Expedition startete für uns ganz überraschend im Sommersemester, als wir gerade erst anfingen, Pläne für die warmen Monate zu machen. Jens war noch auf der Suche nach zwei HiWis, die Lust hatten, als Teil einer kleinen deutschen Forschungsgruppe zu Gast auf dem russischen Forschungsschiff Professor Multanovskiy anzuheuern. Da brauchten wir nicht lange zu überlegen, natürlich konnten wir diese Gelegenheit nicht ausschlagen. In der kurzen Zeit, die bis zur Abreise blieb, gab es allerdings noch allerhand Formalitäten zu erledigen und es blieb bis zuletzt spannend, ob alles klappen würde, wie es sollte.
Am 8. September war es dann soweit und mit einem Koffer voller privater Klamotten und einem mit Arbeitskleidung gepackten Seesack ging es ab nach Russland. Nach einem nächtlichen Zwischenstop in St. Petersburg, kamen wir einen Tag später im knapp nördlich des Polarkreises gelegenen Murmansk an. Dort am Flughafen trafen wir bereits einen Teil der russischen Forschergruppe. Alle zusammen wurden wir zum Hafen gefahren, wo uns unser Zuhause für die kommenden Wochen erwartete.
In den darauffolgenden zwei Tagen stand es an der Tagesordnung, Arbeitsgeräte und Vorräte an Bord zu verstauen. Hierbei gab es für uns nicht viel zu tun, außer zuzuschauen und im nahgelegenen Supermarkt noch private Einkäufe an Snacks und Erfrischungsgetränken zu tätigen. Probleme und Sorgen machte der Kran auf dem Arbeitsdeck, welcher bereits Montagnachmittag vorerst den Geist aufgab. Überlegungen, ob wir so überhaupt mit auslaufen würden, wurden ausgesprochen, wohl aber auch mit der Intention, unsere Gastgeber zu motivieren, sich des Problems voll anzunehmen.
Mit einem noch störrischen Kran, gleichzeitig aber mit der 100-prozentigen Zusage, dass dieser bald wieder voll einsatzbereit sein würde, liefen wir am Mittwochmorgen aus. Der Transit zur ersten Messstation würde noch einige Tage dauern und so konnten wir zunächst die Fahrt aus dem malerischen Murmansker Fjord bei allerbestem Wetter oben auf dem Peildeck genießen.
Die nächsten Tage galt es dann, unsere Arbeitsgeräte aufzubauen und zu testen. Von Glück können wir sprechen, wenn wir daran zurückdenken, wie das Seil unserer UCTD-Winde während der Testdurchläufe riss und wir dem Dummy nur noch hinterher winken konnten, als er unter der Meeresoberfläche verschwand. Die Übungswürfe waren damit beendet, aber immerhin hatten wir keinen wertvollen Sensor verloren.
Eine andere Baustelle entstand sehr bald durch die größer werdende Dünung. Alle Vorhersagen, daran gewöhne man sich nach ein paar Tagen, sollten sich leider nicht für uns bewahrheiten. Also griffen wir nach eineinhalb appetitlosen Wochen auf Medikamente gegen die Seekrankheit zurück.
Erstes arktisches Highlight unserer Reise war das Auftreten von Eisbergen zusammen mit bestem Wetter und traumhaftem Sonnenuntergang bei unserem ersten Transekt, als wir uns dem 80. Breitengrad näherten. Obwohl dadurch unser Zeitplan etwas strapaziert wurde, freuten wir uns sehr über den kleinen Ausflug ins Eis – denn allzu lange wird man das in dieser Region wohl nicht mehr erleben können.
Kaum hatten wir die ungefrorene Meeresoberfläche wieder um uns, starteten auch unsere UCTD-Messungen. Es ging direkt in sehr intensivem Umfang los, da wir am Kontinentalhang durch viele Messungen eine möglichst hohe räumliche Auflösung erzielen wollten. Wir arbeiteten in 4-Stunden-Schichten, um nicht zu lange in der knackigen Kälte stehen zu müssen.
Neben den UCTD-Arbeiten fingen wir bald darauf an, Wasserproben an den CTD-Stationen zu nehmen, welche im Anschluss an die Expedition auf darin gelöste Stoffe untersucht werden. Und auch bei den geologischen Arbeiten waren helfende Hände gern gesehen. Die freien Phasen zwischen den Stationen wurden genutzt, um zu lesen, Filme zu schauen, in gemütlicher Runde beisammen zu sitzen, Mitternachtssnacks zu essen oder um sich in die Horizontale zu bequemen, mit dem fest entschlossenen Ziel, die Seekrankheit nicht Überhand nehmen zu lassen. Hatten wir uns erst einmal in unsere Arbeitsroutine eingefunden, vergingen die drei Wochen intensiver Stationsarbeit auf dem Schiff wie im Flug, und die letzte Station in der Beringstraße kam schneller als gedacht. Unserem Eindruck nach waren alle mit den Arbeiten während der gesamten Forschungsphase sehr zufrieden und sind nun voller Erwartung auf die neuen Erkenntnisse, vor allem aus der Ostsibirischen See.
Um uns die Arbeiten und das Leben an Bord zu versüßen, bot uns die Arktis ab und zu besondere Anblicke. Einmal schwamm ein Eisbär keine zwanzig Meter entfernt an unserem Schiff vorbei, wir passierten schöne Inseln und Küstenabschnitte, und am letzen Stationstag in der Polarregion ließen sich zahlreiche Walrosse und Wale zum Abschiedsgruß blicken.
Das Ende der Messarbeiten und das Verlassen des hohen Nordens wurde natürlich auch ein bisschen auf russische Art zelebriert. So saßen wir in großer Runde zusammen, tanzten, hatten eine Menge Spaß und freuten uns über die warmen Sonnenstrahlen, die der darauffolgende Morgen für uns bereit hielt.
Nun lagen also noch etwa zwei Wochen Transitfahrt bis Wladiwostok vor uns. Wenig Freude bereitete uns allen die Wettervorhersage, welche auf dem Kurs nach Süden einige intensive Tiefdruckgebiete und sogar Taifune mit schwerer See für uns versprach.
Den ersten Tag südlich der Arktis wetterten wir in der Bucht von Prowidenija ab; ein weiteres Naturhighlight für unsere Erinnerungen.
Der Zeitplan verlangte jedoch, dass wir unter allen Umständen exakt am 22. Oktober in unserem Zielhafen einlaufen sollten, um dort von offiziellen Feierlichkeiten in Empfang genommen werden zu können. Also lautete die Devise: Augen zu und durch das schlechte Wetter! Die Wettervorhersage versprach weder zu viel noch zu wenig, und so erleben wir in unseren letzten beiden Wochen auf der Professor Multanovskiy einige stürmische Tage und Nächte, in denen alles, was nicht fest verstaut wurde, haltlos durch die Kabinen rollt. Entschädigung dafür gab es, als wir den Ausblick auf Kamtschatkas schneebedeckte Vulkane am Horizont genießen konnten.
Besonders positiv wird uns die überwältigende Hilfsbereitschaft unserer russischen Freunde in Erinnerung bleiben. Stets waren sie bereit, das gesamte Schiff auf den Kopf zu stellen, um uns zu helfen. Für jeden gab es am Ende noch eine Tasse und einen Pulli mit Transarktika-Logo von der Fahrtleitung geschenkt, die uns stets an die Erfahrungen dieser besonderen Reise erinnern werden.
Viola und Klaus
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