Daily Reports of TRANSDRIFT XIX
Laptev-See, 27. August 2011, 77°50' Nord, 133°10' Ost Start der TRANSDRIFT-XIX-Expedition war am 23. August am Hamburger Flughafen. Forscher des IFM-GEOMAR, des AWI und der Akademie Mainz flogen von hier aus über Sankt Petersburg, Irkutsk und Jakutsk nach Tiksi, um von dort aus mit dem Schiff YAKOV SMIRNITSKY Richtung Laptev See zu starten. In Sankt Petersburg stießen noch Expeditionsmitglieder des russischen Instituts für Arktis- und Antarktisforschung sowie der Universität Sankt Petersburg hinzu. Von nun an werden in regelmäßigen Abständen Stationen, die in wochenlanger Planung und Vorbereitung ausgearbeitet wurden, angefahren und dort Messungen durchgeführt. Alles in allem heißt es nun für das Team um Torben Klagge, sich an die russische Mentalität zu gewöhnen, mit örtlichen Gegebenheiten und Eigenheiten der Einwohner auszukommen und wichtige Ergebnisse mit nach Hause zu bringen. Neben verpassten Flügen, nicht stattfindenden Flügen aufgrund von Nebel, einheimischem Essen (ausgesprochen anders, aber gut, so lange man nicht Diät machen möchte) und einer nicht allzu ruhigen See wurden bis jetzt 12 Stationen erfolgreich und vertikal hochaufgelöst gemessen, und alle an Bord sind guter Dinge. Viele Grüße an alle Daheimgebliebenen,
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Eines unser Hauptarbeitsgeräte, der Kranz-wasserschöpfer, wartet geduldig auf seinen Einsatz bei (noch) unglaublich ruhiger See |
Laptev-See, 31. August 2011 "Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt" oder „Wenn man mit der Klobrille vom Klo fällt …." Nach erfolgreichen und reibungslosen Probennahmen am 27. August war die Stimmung im Team recht positiv. Fast euphorisch. Nach abgeschlossener Station am Abend sollte wieder Kurs Richtung Süden genommen werden, um fehlende Ersatzteile von einem Helikopter aus Tiksi entgegen zu nehmen. Die letzten Stationen mussten allerdings unter erschwerten Bedingungen absolviert werden – starker Wind und Wellengang waren aufgekommen. Nach beendeter Stationsarbeit wurden Schiff und Mannschaft von heftigem Wellengang hin- und her geworfen. Das eine oder andere Expeditionsmitglied wurde von heftiger Seekrankheit geplagt, andere Mitglieder verbrachten eine schlaflose Nacht, während sie der Sturm in ihren Kojen hin und her warf. Wiederum andere wurden vom heftigen Wellengang samt (nicht festgeschraubter) Klobrille von Klo geworfen. Auf Grund des Sturms wurde in der Nacht beschlossen, in einer Bucht Schutz zu suchen und den Sturm abzuwettern. Nach kurzer Suche wurde die südöstlich gelegene Insel Kotelnyy angelaufen und in der Bucht "Salin Stachanowzjew Arktiki" geankert. Vor Anker gegangen, konnte der (geringe) Schaden an Mensch und Material begutachtet werden, Seekranke konnten sich erholen. Durch den Sturm in der Bucht gefangen, nur mit Ausblick auf einen Streifen graue, aber teilweise sonnenbeschienene Küste mit einer verlassenen Militärbasis, machte sich am 28. August besonders unter den mitreisenden Studenten eine gewisse Langeweile breit. Diese wurde nach kurzer Zeit durch das Basteln von Gesellschaftsspielen aus Papier, Tape und Probenmaterial bekämpft. Ein Großereignis am 29. August war das Gießen zweier Würfel aus Paraffinwachs. Nun kann sich das ganze Team über „Mensch ärgere dich nicht!" und "Monopoly" freuen! Die Freude über die neuen Spiele und das gemütliche Beisammensein mit gemeinsamem Filme-Gucken wurde von der Nachricht getrübt, dass der Helikopter bei den vorherrschenden Windverhältnissen nicht starten konnte. Erneut musste der Ablauf geändert werden. Dank des abgeschwächten Sturms wurde die Bucht am Abend des 29. August wieder in Richtung Nordwesten verlassen, um Dank des besseren Wetters die Messungen fortzusetzen. Mit sturmerprobten Grüßen aus der Laptev-See,
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Eine der letzten Stationen, bevor der immer stärker werdende Wind mit bis zu 22 m/s weiteres Arbeiten unmöglich machte. |
Laptev-See, 2. September 2011, 76° Nord, 121° Ost Nachdem wir uns erfolgreich in einer Bucht der Insel Kotelnyy vor dem Sturm versteckt hatten, können wir endlich weiterfahren. Zuvor ist jedoch noch ein Treffen mit einem unserer Schwesterschiffe geplant, und eine Person der Mannschaft wechselt die Schiffe. Dann bekommen wir noch russische Bootsarbeit zu sehen: Ein kleiner Container und ein Boot sollen vom anderen Schiff mit dem Kran in unseren Bugfrachtraum gehoben werden. Wir räumen unsere eigenen Kisten beiseite, um Platz für den Container zu schaffen. Beim Herablassen des Containers vom anderen Schiff wird eine unserer Kisten fast vom Container zerdrückt, kann aber im letzten Moment noch gerettet werden. Dann wird das Boot verkehrt herum in die Ladeluke gelassen, und unter ächzendem Geräuschen von aneinander reibendem Metall umständlich gedreht, per Hand in die Ecke des Laderaumes getragen und schließlich mit einem Seil vertäut. Wir schauen aus sicherer Entfernung erstaunt zu … Weiter geht es für knapp 25 Stunden Richtung Nordwesten, wo wir unsere Arbeit wieder aufnehmen können. An diesem Stationspunkt befinden wir uns auf der Schelfkante (der Bereich, in dem der flache Schelf in die Tiefsee übergeht), mit über 1000 Metern vermutlich die tiefste Stelle, an der wir uns aufhalten werden. Der Seegang ist zwar nicht mehr so schlimm wie während des Sturms, erschwert die Arbeit an Deck aber immer noch erheblich. Nach der nächsten Schicht hat sich das Wetter komplett verändert. Statt kaltem Wind ist es nun fast windstill und neblig. Die Sicht ist schlecht, der Horizont meist nicht zu sehen. Wilde, unregelmäßige Wellen mit Schaumkronen werden gegen langsam unter unserem Schiff her ziehende, flache, lange Wellen ausgetauscht. Die Meeresoberfläche wirkt in diesem Grau in Grau manchmal wie aus flüssigem Metall. Die Arbeit ist unter diesen Umständen, im Gegensatz zu den vorherigen Tagen, schon fast langweilig. Die Leute, die an der Rosette arbeiten, müssten eigentlich gar nicht mehr angeleint werden, Probenfläschchen fallen nicht mehr um oder rollen davon, sobald man sie abstellt, und ohne den Wind ist alles viel ruhiger. Es folgt Station auf Station, es wird viel geschafft, so wie es eigentlich von Anfang an geplant war - doch die Zeit, die uns der Sturm gekostet hat, ist wohl nicht mehr aufzuholen. Mittlerweile hat sich auch im Labor eine Routine eingestellt, mit der die Arbeit schneller von der Hand geht. Das einzige, was das schnelle Vorankommen verzögert, sind einzelne Filterproben, die wegen des hohen Schwebstoff- und Chlorophyllgehalts manchmal über zwei Stunden gefiltert werden müssen. Solange die Stationspunkte aber weiterhin drei bis vier Stunden auseinander liegen, sollte auch das kein Problem werden. Mit besten Grüßen aus der spätsommerlichen Laptev-See, |
Arbeiten an der Filtration im Labor der YAKOV SMIRNITSKY |
Laptev-See, 4. September 2011, 76°33' Nord, 126° Ost
Widerspenstige Verankerungen und alte Sockensäfte
Der Fokus der letzten Tage ist nun voll und ganz den ozeanographischen Verankerungen gewidmet, jenen Strömungen, Temperatur und Salzgehalt messenden Gerätschaften, welche auf dem Meeresboden darauf warten, von uns eingesammelt zu werden. Die Verankerungen sind so aufgebaut, dass Messgeräte an einem senkrecht unter Wasser gehaltenen Seil montiert werden, die im 15- bis 30-minütigen Rhythmus über ein Jahr lang Daten aufzeichnen, welche dann nach erfolgreicher Bergung heruntergeladen werden können. Die Geräte mitsamt einem Auftriebskörper werden, gekoppelt über einen Auslöser, von einem Gewicht am Boden gehalten. Der Auslöser wird über akustische Signale angeregt, die Verbindung zu dem Gewicht zu lösen, so dass der Auftrieb die Geräte nach oben treiben lässt. Das alles passiert mit Hilfe des ominösen Hydrophons, das uns schon seit Anfang der Expedition belastete. Nach der dann doch relativ ungewöhnlichen Ersatzteillieferungsaktion per Hubschrauber vor ein paar Tagen kamen wir mit Anbruch der Dämmerung (~22:00 Schiffszeit) bei ANABAR an, der ersten der insgesamt 4 verbleibenden Verankerungsstationen. Der Ablauf beinhaltet dann erst einmal das Orten der Gerätschaften per Hydrophon, also per eben jenem wichtigen Ersatzteil, welches uns glücklicherweise selbst hierhin nachgeliefert wurde. Der Optimismus wurde dann auch gleich grenzenlos gesteigert, da die Verankerung "antwortete" und die Gerätschaften noch genau dort lagen, wo sie letztes Jahr ausgesetzt wurden. Zwischendurch um Mitternacht gab es noch ein paar warme Geburtstagsglückwünsche für unseren Kollegen Jens Hölemann, welcher sich schon auf die Daten freute wie ein Kind auf den Geburtstagskuchen. Fahrtleiter Torben gab dann das Signal zum Auslösen, und bei einer Wassertiefe von 30 m hofften wir dann ca. 30 Sekunden später zu erleben, wie die wertvollen Geräte zurück an die Meeresoberfläche kamen. Also alle Augen auf die See gerichtet wie bei Moby Dick, bis dann schließlich "gar nix passierte". Trotz aller OK-Signale des Auslösers kam die Verankerung nicht hoch, und wir mussten aus Zeitmangel schweren Herzens weiterdampfen zur nächsten Station KHATANGA. Dort lief dann alles wie am Schnürchen. 6:00 morgens, Gerätschaften geortet, ausgelöst, schwupps an die Oberfläche und per Kran an Deck geholt, die Geräte abmontiert, gesäubert, Daten ausgelesen und gefreut über ein weiteres Jahr wertvoller Information über Strömungen und Hydrographie der inneren Laptev-See. Einige Stunden später hatten wir dann bereits erfolgreich eine neue Verankerung ausgelegt, bestückt mit frischen Messinstrumenten.
Die nächste Station OSL4 lag einen Tagesritt entfernt von KHATANGA in der nordwestlichen Laptev-See, einem entlegenen und oftmals durch Eis schwer zugänglichem Gebiet auf 77°N, welches ozeanographisch weit weniger erfasst ist als der zentrale Schelf. Die Neugierde und Vorfreude war auch dementsprechend hoch, aber was soll man sagen, lange Rede kurzer Sinn: Die Verankerung ist nicht hoch gekommen. Der Grund für die technischen Probleme der Auslöser ist uns erst einmal nicht bekannt, alle Begebenheiten hätten auf erfolgreiche Bergungen gedeutet, aber leider gibt es keine Garantie, dass man Geräte, die man im Ozean verankert, auch wieder bekommt. Das war und ist uns durchaus bewusst. Leider haben wir keinerlei extra Zeit für zusätzliche Bergungsversuche, so dass wir hoffen müssen, dass die Verankerungen von zukünftigen Expeditionen geborgen werden können.
Ansonsten war heute Saunatag für die wissenschaftlichen Expeditionsteilnehmer, so dass einige von uns die Dampfzeit zur nächsten Verankerungsstation OSL2 am nördlichen zentralen Schelf nutzen konnten, Geist und Körper bei 120°C und Birkenzweigen wieder in Einklang zu kriegen. Überhaupt ist die Stimmung unter den Expeditionsteilnehmern trotz der genannten wissenschaftlichen Rückschläge meistens sehr gut. Selbst der 100-jährige Kabeljau und "Dosensaft gemischt mit altem Sockenwasser" zum Abendbrot konnte der Sache hier keinen Abbruch tun, obwohl sich so langsam Tagträume von frischem Obstsalat häufen. Nun gut, in vier Tagen werden wir wieder in Tiksi von Bord gehen und hoffen bis dahin doch noch mal auf ein wenig mehr Glück mit der letzten verbleibenden Verankerungsstation. Man darf gespannt bleiben.
Mit vielen Grüßen aus der Laptev-See,
das Expeditionsteam
Laptev-See, 6. September 2011
"Wenn ihr es behalten wollt, dann schmeißt es nicht ins Meer!" Diesen Rat hat uns vor ein paar Jahren ein sehr erfahrener kanadischer Techniker an Bord eines Forschungsschiffes gegeben. Nun gut, wir haben uns nicht daran gehalten und unsere Messgeräte in der Laptev-See verankert. Wir wollen wissen, woher das ungewöhnlich warme und salzige Bodenwasser kam, das schon letztes Jahr große Bereiche dieses flachen Schelfmeeres bedeckte. Fernerkundungsdaten sagen uns, dass die Laptev-See immer später im Jahr zufriert und der Rückzug des Eises im Frühjahr immer eher stattfindet. Welche Konsequenzen hat das für das Ökosystem der Laptev-See und für die Eisbilanz der Arktis? Zur Beantwortung dieser Fragen müssen Messungen über mehrere Jahre hinweg durchgeführt werden. So erhält man eine Art Langzeit-EKG des Meeres und kann sich ein Bild davon machen, wie das Meer unter verschiedenen "Belastungssituationen" reagiert.
Da wir bereits zwei Messsysteme nicht bergen konnten, lag unsere Stimmung beim Anlaufen der vierten Verankerungsstation in der nördlichen Laptev-See irgendwo zwischen Hoffen und Bangen. Alles begann wie immer. Die Geräte antworten und senden Signale, dass alle Systemkomponenten funktionieren. Das Schiff positioniert sich. Das Auslösesignal wird gesendet. Warten. Aber nach wenigen Sekunden kommt schon die Erlösung. Hundert Meter neben dem Schiff schaukelt der gelbe Auftriebskörper in den Wellen. Nur wenige Minuten später sind die Geräte an Bord. Wie sich später herausstellt, haben alle Messsysteme perfekte Daten über Eisbedeckung, Meeresströmung, Salzgehalt, Temperatur und die Trübung des Wassers geliefert. Im Anschluss an die Bergung wird gleich ein "frisches" Messsystem auf den Meeresboden gelassen. Letzte Messungen vom Schiff aus komplettieren die Stationsarbeit. Ein versöhnlicher Abschluss der diesjährigen Forschungsarbeiten in der Laptev-See!
Neuer Kurs: SE nach Tiksi. Mehrere hundert Seemeilen liegen vor uns. Genügend Zeit, um die Proben für den langen Weg in die Labore sicher zu verstauen. Nun muss auch alles wieder in Kisten verpackt werden. Das macht genauso viel Spaß wie damals das Kinderzimmer aufzuräumen. Aus gegebenem Anlass haben wir dem Geburtstagskind Arne einen Gutschein für die Trendsportart "Kisting, Packing, Schlepping" geschenkt. Aber wir glauben, er hat den Trick durchschaut. Aus dem gleichen Grund wird Arne wohl auch den Gutschein für die Heißölmassage im Maschinenraum nicht einlösen. Schade eigentlich, die Doktoren an Bord hatten sich schon gefreut.
An Bord ist alles gesund und munter! Wir freuen uns auf zu Hause.
Viele Grüße vom Expeditionsteam