Daily Reports of TRANSDRIFT XIV
1. Tagesbericht: Freitag, den 5. September 2008, Tiksi, 71°38' N, 128°54' E Reise, Reise, Reise! Heute Abend war es endlich soweit: Unser Forschungsschiff „Ivan Petrov" hat den Hafen von Tiksi verlassen und läuft Richtung offenes Meer. Nachdem wir die letzten Tage noch mit dem Erledigen der notwendigen Formalitäten und dem Warten auf die Ankunft unserer letzten Geräte verbracht haben, ist all dies heute erledigt und wir können bald mit den Stationsarbeiten beginnen. An Bord der „Ivan Petrov" befinden sich zur Zeit 14 Wissenschaftler des AARI in St. Peterburg, der Universität St. Petersburg, Studenten des Studienganges für angewandte Meereswissenschaften POMOR aus St. Petersburg, des Lena-Delta-Reservates Tiksi, des AWI Bremerhaven und des IFM-GEOMAR in Kiel. Alle zusammen werden in den nächsten Wochen an über 50 Stationen in der Laptev-See und Teilen der Ostsibirischen See ihre Untersuchungen durchführen, seien es biologische, meteorologische, meereschemische oder ozeanographische Messungen bzw. Probenahmen. Die erste Station werden wir schon in wenigen Stunden erreichen und dort mit Hilfe eines programmierbaren Wasserschöpfers („Rosette") Wasserproben aus verschiedenen Tiefen des Meeres entnehmen und einige davon anschließend im bordeigenen Labor untersuchen. Andere werden für die spätere Untersuchung im Otto-Schmidt-Labor in St. Petersburg präpariert, da dort Untersuchungen möglich sind, die das bordeigene Labor nicht bietet. Im Laufe der nächsten zwei Tage werden wir dann, unterbrochen von einigen weiteren Stationen, unser Hauptarbeitsgebiet erreichen. In diesem werden wir, wie auch schon während der Expedition TRANSDRIFT XII im Jahre 2007, eine hochauflösende Beprobung der Wassersäule durchführen. Da wir aus genau diesem Gebiet bereits einen kompletten Datensatz des letzten Jahres haben, wird ein ausgiebiger Vergleich der gemessenen Werte und somit eine erste Abschätzung der kurzfristigen Veränderungen möglich sein. |
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Innerhalb des Hauptarbeitsgebietes werden wir dann auch zwei im Jahre 2007 im Rahmen der Expedition TRANSDRIFT XII verankerte Meeresbodenobservatorien („Moorings") bergen, die dort seit fast genau einem Jahr in 15-Minuten-Abständen Strömungsrichtung und -geschwindigkeit, Trübe, Salzgehalt und Temperatur des Wasser messen. Außerdem planen wir, vier dieser Langzeitobservatorien neu auszubringen, um sie dann (hoffentlich) 2009 wieder bergen zu können. Doch dazu in späteren Berichten mehr.
Die Stimmung an Bord ist ausgesprochen gut, die meisten Fahrtteilnehmer haben sich die Tage in Tiksi noch mit ausgiebigen Spaziergängen, Einkäufen (soweit möglich) und viel Schlafen versüßt. Beim Auslaufen sah man noch den bzw. die ein oder andere letzte Telefonate führen, so lange das Schiff noch in Reichweite des Mobilfunkmastes ist (auch wenn man hier kaum damit rechnet: Tiksi ist seit gut einem halben Jahr an das russische Mobilfunknetz angeschlossen), da die Kommunikationsmöglichkeiten von See aus in den nördlichen hohen Breiten leider auf Satelliten-Netze reduziert sind.
Wir warten, was uns die nächsten Tage bringen werden, rechnen aber durchweg mit dem Besten. Auch das Wetter spielt gerade mit – knappe 5 Grad und leichter Wind aus östlicher Richtung.
Viele Grüße an alle Daheimgebliebenen!
Das deutsch-russische Expeditionsteam
2. Tagesbericht: Montag, den 8. September 2008, 74°30' N, 127°21' E Uns wird oft erst nach dem Gang zur Waage klar, dass unser Körper sich verändert hat. Na klar, das Körpergewicht schwankt immer etwas. Aber leider zeigt sich – wenn man die Messungen regelmäßig wiederholt – bei manchem eine eindeutige Tendenz. Meistens in eine Richtung, die wir uns nicht wünschen. Auch die Umwelt der Laptev-See ist ständigen Schwankungen unterworfen. Aber zeigen sich hier dauerhafte Veränderungen, zum Beispiel in der Wassertemperatur oder der Eisbedeckung? Veränderungen, die eventuell in Zusammenhang mit globalen Veränderungen stehen? Um diese Fragen zu beantworten messen wir. Eine Schwierigkeit dabei ist es, Meeresgebiete – sogenannte Schlüsselgebiete – zu finden, die als Frühwarnsystem dienen, weil dort dauerhafte Veränderungen der Umwelt schon früh deutlich werden. Ein solches Schlüsselgebiet für die Arktis ist unser 150 x 150 km großes Arbeitsgebiet nördlich des Lena-Deltas in der Laptev-See. Hier bilden sich im Winter regelmäßig Polynjen (TRANSDRIFT XIII). Im Frühjahr beginnt hier die Algenblüte – die Nahrungsgrundlage für das marine Ökosystem. Nahe der Meeresoberfläche mischt sich das Süßwasser der Lena mit dem Meerwasser, während bodennah „warmes" Wasser episodisch von Norden einströmt. Seit Sonntag führen die Ozeanographen, Biologen und Meeresgeologen hier an Bord im Abstand von zirka 15 Seemeilen an über 50 Punkten – wir nennen es Stationen, wie bei der Eisenbahn – Messungen durch. Messungen, die wir in den nächsten Berichten ausführlicher beschreiben werden. Eine erste Sichtung der Daten zeigte, dass alle Sensoren bis zum Zeitpunkt der Bergung perfekt gearbeitet haben. Erstaunlich ist der sehr starke Bewuchs der Observatorien mit Moostierchen. Obwohl die Geräte nur ein Jahr im Wasser waren, haben sie lange, hellbraune Bärte, die aus Kolonien dieser kleinen Meerestierchen gebildet werden. Um die Geräte jetzt für den Einsatz für ein weiteres Jahr fertig zu machen, müssen als erstes die Kolonien mit Schwamm und Bürste entfernt werden. Das ist sicherlich nicht sonderlich schön für die Moostierchen, aber auch für den „Putzer" eine S...arbeit: Wenn man damit fertig ist, riecht alles an einem irgendwie fischig. Auch die Kleidung riecht, und jeder Raum, den man betritt, ist sofort markiert. Aber zum Glück gibt es die heiße Dusche, die Banja und im unteren Deck steht eine Waschmaschine. Herzliche Grüße an alle Freunde der Arktis |
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3. Tagesbericht: Montag, den 15. September 2008, Laptev-See, 76°50'N, 133°55'E Volle Breitseite Leider sind wir mit unseren Berichten arg in Verzug gekommen, aber seit dem letzten Bericht gab es soviel zu tun, dass für das Berichtschreiben einfach keine Zeit blieb. Das versuchen wir hiermit jetzt aber nachzuholen: Nachdem, wie im letzten Bericht erwähnt, die beiden Moorings ANABAR und KHATANGA erfolgreich geborgen wurden, hatten wir knappe vier Tage Zeit, um die Stationen wieder flott zu machen. Das beinhaltet neben dem (obligatorischen) Putzen und dem Batterietausch vor allem auch das Neuprogrammieren und Kalibrieren, das Prüfen aller Dichtungen, das Durchführen diverser Tests und die (von niemandem wirklich geliebte) Kalibration der elektronischen Kompasse der Geräte. Außerdem sollten ANABAR und KHATANGA dieses Jahr um das neue SCOUTS-System erweitert werden (nebenbei bemerkt: eine Art Weltpremiere für dieses neue entwickelte System! Kurz zusammengefasst sorgt es für eine zusätzliche Redundanz, indem mit Hilfe von Popup-Bojen sichergestellt wird, dass wir die Daten aller Messgeräte auch dann erhalten können, wenn ein Bergen der Mooring fehlschlägt oder diese im Laufe des Jahres durch z. B. Eis zerstört wird). Und wie der erste Einsatz eines neuen Gerätes es so mit sich bringt, dauert das Vorbereiten meist länger als man denkt. Somit waren die vier Tage recht vollgepackt, aber wir sind rechtzeitig fertig geworden. Am Morgen des 12.09. wurde bei bestem Wetter ANABAR, am Nachmittag bei stärkerem Wind dann KHATANGA neu ausgesetzt. Beide Stationen sollen im Rahmen der Expedition TRANSDRIFT XVI im August/September 2009 wieder geborgen werden, bis dahin messen sie im 15-Minuten-Takt die Strömungsrichtung und -geschwindigkeit der kompletten Wassersäule über der Mooring, und außerdem die Trübe, den Salzgehalt sowie die Temperatur. Wir hoffen (und gehen als Optimisten natürlich auch davon aus), diese Stationen nächstes Jahr unbeschadet wieder bergen zu können. Der Wind, der beim Aussetzen von KHATANGA schon gut aufgefrischt war, legte in der darauffolgenden Nacht noch um einiges zu, so dass wir Windgeschwindigkeiten von bis zu 22 m/s und die dementsprechenden Wellen genießen durften. Da bei solchen Wellen kein Arbeiten mehr möglich ist, wurden gegen Mitternacht alle Arbeiten eingestellt und das Schiff versuchte mit dem Bug im Wind und langsamer Fahrt dem steifen Nordwind zu trotzen. Den nächsten Tag verbrachten die meisten Expeditionsteilnehmer zumeist in ihrem Bett, denn das ist so ziemlich der einzige Ort, an dem man sich bei so einem Wellengang einigermaßen vernünftig festkeilen kann, ohne bei jeder Welle gegen die Wand zu schlagen. Nach ausführlichem Sichten der Wetterkarten entschlossen wir uns dann, weiter Richtung Norden zu laufen, Richtung Festeisgrenze. Dort war der Wind zwar genau so stark, aber durch das Eis werden die Wellen regelrecht „platt" gedrückt, so dass sie nur knapp ein Viertel so hoch sind wie auf offener See. Auf dem Weg zur Festeiskante kamen uns auch recht große Eisschollen entgegen, die der Sturm von der Eiskante abgerissen hatte. |
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An der Eiskante angekommen, war trotz des immer noch starken Windes mit 18 m/s das Arbeiten dann zumindest teilweise wieder möglich. So konnten wir am Vormittag des 14. September direkt an der Eiskante die Mooring OSL2C aussetzen – wie das „C" im Namen schon verrät, ist dies das dritte Mal, dass eine Mooring (ungefähr) an dieser Position ausgesetzt wird, womit ein insgesamt sehr langfristiger Datensatz dieses Bereiches vorhanden sein wird.
Auch das Aussetzen dieser Mooring verlief problemlos - nur der eisige Wind, Minusgrade und die waagerecht einfliegenden Schneeflocken ließen nicht nur die Finger recht schnell eiskalt werden. Hier noch einmal einen herzlichen Dank an die Besatzung der „Ivan Petrov", die auch unter diesen erschwerten Bedingungen unsere Arbeit wirklich erleichtert hat.
Nach der Mooring-Station sind wir dann langsam wieder Richtung Süden gefahren, um die wegen des Sturms ausgelassenen Stationen nachzuholen, an denen (wie an allen Stationen) je ein ozeanograpisches CTD-Profil, meereschemische Wasserprobennahmen in diversen Tiefen sowie biologische Untersuchungen (dazu mehr im nächsten Bericht) stattgefunden haben.
Mittlerweile haben wir diese Stationen auch abgeschlossen und befinden uns auf dem Weg Richtung Nordosten, zu unserer nördlichsten Station (die laut Satellitendaten momentan allerdings noch eisbedeckt ist). Dort soll dann die letzte Mooring (OSL3) ausgesetzt werden. Danach werden wir einen Transekt Richtung Süden zu den Neusibirischen Inseln fahren, diese dann im Osten umrunden, dort dann noch einige Stationen beproben und uns dann auf dem Weg Richtung Tiksi begeben, wo wir um den 21. September herum ankommen sollten.
Soweit zur Planung – wir lassen uns überraschen, ob die See, das Wetter und das Eis dabei mitspielen.
Beste Grüße aus der Laptev-See,
das Expeditionsteam
4. Tagesbericht: Mittwoch, den 17.9.2008, Laptev-See, 78°50' N, 144°00' E Es schneit! In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch hat die „Ivan Petrov" bei 78°50' N und 144°00' E vor den Neusibirischen Inseln den nördlichsten Punkt der TRANSDRIFT-XIV-Expedition erreicht. Leichter Schneefall, ein dunkelgrauer Himmel und Temperaturen unter Null bilden die für diesen Ort angemessene Szenerie. Wir wären gerne noch einige Seemeilen weiter nach Norden gedampft, um an der steil zum Arktischen Becken abfallenden Schelfkante Stationsarbeiten durchzuführen, doch unser Elan wurde vom Eis gebremst. Die Ausdehnung des arktischen Meereises hat auch diesen Sommer beinahe das Rekordminimum vom September 2007 erreicht, jedoch hat der Wind das restliche Eis in die nördliche Laptev-See geschoben. Dies ist deutlich mess- und spürbar! So liegt die Wassertemperatur an der Meeresoberfläche stellenweise unter Null Grad und ist somit bis zu 6 Grad kälter als letztes Jahr. Der nahe Eisrand und die damit verbundene Nährstoffzufuhr aus dem schmelzenden Eis bilden auch die Ursache für die hier besonders zahlreich auftretenden pflanzlichen und tierischen Kleinstlebewesen. So gibt es für unsere Biologen Sasha, Fedor, Dima und Alexey allerhand zu untersuchen. Mit Netzen verschiedener Maschenweite wird Plankton gesammelt, und mit einem pressluftbetriebenem Sedimentgreifer werden tellergroße, bis zu 40 cm dicke Teile des Meeresbodens an Bord gehievt, um die Lebewesen am Meeresboden – das Benthos – zu untersuchen. Man könnte meinen, dass nach so vielen Expeditionen nichts Neues mehr am Meeresboden auf seine Entdeckung wartet; aber dem ist nicht so. Sasha aus dem Lena-Delta-Reservat in Tiksi hat zwei neue benthische Lebensgemeinschaften, die in ihrer Artenzusammensetzung so noch nicht bekannt waren, gefunden. Besonders interessant daran ist, dass sie im Bereich der im Winter auftretenden Polynja gefunden wurden. Nirgendwo in der Laptev-See gedeiht das Leben am Meeresboden anscheinend so gut wie in dieser Region. Während Sasha sich noch über seine Funde freut, grübeln Fedor, Dima und Alexey, die Biologen der Universität in Sankt Petersburg, noch über den Fund von Muscheln der Gattung Musculus. Eigentlich sollten diese auf festem Meeresboden in der Kara- oder Barentssee leben. Nun liegen sie aber hier im weichen Sediment der zentralen Laptev-See. Eine große Hilfe bei allen Arbeiten an Bord sind Sasha, Sasha und Igor, die Studenten des Masterstudienganges POMOR. Die drei mit ihren so typisch russischen Namen absolvieren hier ihr zweimonatiges Studienpraktikum. Um sich nun langsam wieder an die Vorlesungssaison zu gewöhnen, haben Torben und Jens kleine Seminare abgehalten, um die in den letzten Tagen ausgebrachten Verankerungen und die damit durchgeführten Messungen genauer vorzustellen. Ich glaube, am meisten hat die Studenten der Kaufpreis unserer Gerätschaften beeindruckt! Herzliche Grüße aus der winterlichen Laptev-See, |
Die Biologen bei der Arbeit |
5. Tagesbericht: Sonntag, den 21.9.2008, Laptev-See
Home sweet home
Nunja, zumindest fast: Heute werden wir im Laufe des späten Tages wieder in Tiksi einlaufen. Von da aus sind es dann nur noch läppische zwei Tage, bis wir wieder in Deutschland sind – gutes Flugwetter natürlich vorausgesetzt. Doch damit sieht es, zumindest bis jetzt, recht gut aus: Lufttemperatur um die 4° und klarer Himmel.
Die Landschaft um Tiksi herum hat mittlerweile allerdings auch schon begonnen, ihr Winterkleid anzulegen: Die Berge an der Küste sind mittlerweile alle mit Schnee bedeckt, der sich bis ca. zur Hälfte des Hanges herunterzieht. Der kurze arktische Sommer neigt sich stark seinem Ende entgegen.
Hier an Bord ist die Stimmung, nach wie vor, sehr gut: Gestern Abend, kurz vor Mitternacht, wurde die letzte Station von TRANSDRIFT XIV beprobt. Alles in allem wurden in den letzten knapp drei Wochen rund 90 Stationen angefahren, an denen die verschiedensten Beprobungen und Untersuchungen durchgeführt wurden: Andrey Novikhin, Livia Ermakova, Ekaterina Bloshkina, Anna Roshkova, Alexandr Sosnin, Igor Sergeenko und Alexandr Ryndin widmeten sich der Meereschemie und der Ozeanographie, Fedor Martynov, Dmitry Taborsky und Alexey Kolmakov der Biologie, Roman Vlasenkov der Meteorologie, Alexandr (Sasha) Gukov aus dem Lena-Delta-Reservat, Tiksi, führte an den meisten Stationen sein Monitoring der Laptev-See durch, und Jens und Torben beschäftigten sich vor allem mit dem Ausbringen und Einholen der Meeresbodenobservatorien. Dieses recht vielseitige Programm füllte die Tage und Nächte der Teilnehmer dann doch recht gut aus, aber nicht soviel, dass man zuweilen auf Dinge wie die bordeigene kleine Sauna oder ein gutes Buch verzichten musste.
Die drei POMOR-Studenten Alexandr, Igor und Alexandr, Sasha Gukov sowie Jens und Torben werden die „Ivan Petrov" morgen früh verlassen und dann, wie oben erwähnt, über Jakutsk nach Moskau fliegen. Die POMOR-Studenten werden dann von dort nach St. Petersburg und wir direkt nach Hamburg weiter reisen.
Aber nicht alle verlassen wie wir die „Ivan Petrov": Acht Wissenschaftler werden noch knapp 30 weitere Tage auf dem Schiff bleiben und im Rahmen der Expedition BARKALAV 2008 Arbeiten in der nördlichen Karasee durchführen, um dann gegen Ende Oktober in Archangelsk einzulaufen.
Bis bald,
die deutschen Expeditionsteilnehmer