Weekly reports of TRANSDRIFT VIII

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Barentssee, 27. August 2000

Nachdem wir Archangelsk am 25. August bei herrlichem Sommerwetter verlassen haben, befinden wir uns jetzt bei kühleren Temperaturen in der Karastraße, die die Barentssee mit der Karasee verbindet. Die Anreise nach Russland verlief planmäßig. Bei unseren Aufenthalten in Sankt Petersburg und Archangelsk waren wir mit den Besorgungen von Verbrauchsmaterialien und Lebensmitteln sowie den letzten Vorbereitungen, u.a. dem Ausdruck von Eiskarten, beschäftigt. Hierbei war das neu eingerichtete Otto-Schmidt-Labor für Polar- und Meeresforschung in Sankt Petersburg ein wichtiger und hilfreicher Anlaufpunkt. Auf der 1977 in Finnland gebauten YAKOV SMIRNITSKIY fühlten sich viele von uns sofort heimisch, da wir bereits im letzten Sommer auf ihr die TRANSDRIFT-VII-Expedition durchgeführt haben. Entsprechend herzlich fiel das Wiedersehen mit Kapitän Boris Isakovich und seinen 23 Besatzungsmitgliedern aus. Sie hatten mit ihrem Erfahrungsschatz vom letzten Jahr alles an Bord für unsere Expedition vorbereitet. So bleibt uns (18 Meeresforschern aus Sankt Petersburg, Moskau, Tiksi, Kiel und Konstanz) neben der Einrichtung der Bordlabore noch etwas Zeit zum Entspannen. Die eisgängige YAKOV SMIRNITSKIY bietet mit ihren 69 m Gesamtlänge nur wenig Laborplatz, aber dieser wird "brüderlich" und mit Humor von uns Wissenschaftlern geteilt. Geplant ist, dass wir uns Mitte der nächsten Woche mit dem Bohrschiff KIMBERLIT am Eisrand in der östlichen Karasee treffen. Von dort wird uns der Eisbrecher TAYMYR durch das Packeis der Wilkizkistraße in die Laptewsee geleiten. Die Eisvorhersagen für die Region sind positiv, so dass wir vermutlich unsere Forschungsarbeiten in der Laptewsee pünktlich Anfang September beginnen können.

Mit herzlichen Grüßen aus dem Norden,

H. Kassens, K. Tuschling und die Teilnehmer der TRANSDRIFT-VIII- Expedition

 

Laptewsee, 5. September 2000

Bei sehr guten Eis- und Wetterverhältnissen haben wir am 30. August die Laptewsee erreicht. Wegen eines Krankheitsfalls mussten wir jedoch zunächst direkt Kurs auf Tiksi nehmen. Dort haben wir Egor Narkewskiy, Student der Universität Sankt Petersburg, am 2. September ins Krankenhaus gebracht. Inzwischen befindet sich Egor auf dem Wege der Besserung, muss aber noch mindestens zwei Wochen in Tiksi im Krankenhaus bleiben. Während dieser Zeit werden sich unsere Kollegen vom Lena-Delta-Reservat um ihn kümmern.

Zur Zeit warten wir vor Tiksi auf das Bohrschiff KIMBERLIT, das erst heute die Genehmigung erhalten hat, die Wilkizkistraße zu passieren. Mit unseren Forschungsarbeiten werden wir deshalb später als geplant beginnen, wir sind jedoch alle, besonders wegen der immer noch sehr guten Wetterverhältnisse, optimistisch, dass wir unseren Zeitplan insgesamt einhalten können. Im Moment nutzen wir die Wartezeit, um die Geräte einsatzbereit zu machen und erste Messungen in der Wassersäule durchzuführen. Das alles vor dem wunderbaren Panorama der bereits schneebedeckten Hügel des Lena-Deltas.

Das Hauptziel der Zwei-Schiff-Expedition TRANSDRIFT VIII ist es, einen Sedimentkern von ca. 100 m Länge aus dem Meeresboden der Laptewsee zu gewinnen, um die darin enthaltenen Klimainformationen auszuwerten. Die Geschichte der Umwelt ist im heutigen Meeresboden z.B. durch Mikrofossilien und verschiedene Mineralien archiviert. Die Paläoklimatologen wollen nun aus der Zusammensetzung des Sedimentkerns in den verschiedenen Tiefenhorizonten Rückschlüsse auf die Klimageschichte der Region für die letzten Millionen Jahre ziehen. So war die Laptewsee vor nicht allzu langer Zeit, zumindest aus Geologensicht, eine weite, von Dauerfrost geprägteTundralandschaft, auf der Mammutherden grasten. Die Ergebnisse der Sedimentkernuntersuchungen sollen u.a. Aufschluss darüber geben, welche Auswirkungen die Veränderungen im Bereich der Laptewsee für das Umweltsystem des Nordpolarmeeres und möglicherweise für die globale Klimaentwicklung gehabt haben. Eine wichtige Voraussetzung für die Einschätzung der Informationen aus dem Sedimentkern sind Kenntnisse über den heutigen Umweltzustand. Aus diesem Grunde wird auf der YAKOV SMIRNITSKIY ein Meeresforschungsprogramm über aktuelle Prozesse in der Laptewsee von Ozeanographen, Meereschemikern, Meteorologen und Biologen durchgeführt.

Mit herzlichen Grüßen aus der Laptewsee,

H. Kassens, K. Tuschling und die TeilnehmerInnen der TRANSDRIFT-VIII- Expedition

 

10. September 2000

Wir befinden uns derzeit bei Lufttemperaturen um den Gefrierpunkt und dichtem Schneetreiben in der östlichen Laptewsee im Schutz der Inseln "Belkowski" und "Kotelnyi". Heute Vormittag haben sich die beiden Schiffe der Expedition getroffen, und über mehrere Stunden wurden Kisten mit wissenschaftlicher Ausrüstung und Lebensmitteln sowie ein neues Bohrgestänge von der YAKOV SMIRNITSKIY auf die KIMBERLIT verladen. Seit heute Mittag fahren nun fünf Wissenschaftler (H.Kassens, H. Bauch, S. Drachev, D. Surkov und M. Wessels) auf dem Bohrschiff KIMBERLIT zur ersten Bohrposition in der östlichen Laptewsee, die sie noch heute Nacht erreichen werden. Nach dem Setzen der vier Anker braucht es nur noch eine weiterhin ruhige See und die erste Bohrung kann beginnen. An Bord der KIMBERLIT werden dann erste Messungen an den erhaltenen Sedimentkernen durchgeführt und die Kerne werden sicher für den Transport auf die YAKOV SMIRNITSKIY und weiter nach Sankt Petersburg verpackt. Da die Kerne auf der KIMBERLIT wegen des geringen Platzes nur für kurze Zeit in Kühltruhen gelagert werden können, werden sich die beiden Schiffe regelmäßig treffen, um die Kerne in den Kühlcontainer auf der YAKOV SMIRNITSKIY zu laden.

In der letzten Woche haben wir auf insgesamt neunzehn Stationen gearbeitet. An einer Position in der zentralen Laptewsee haben wir über einen Zeitraum von 34 Stunden Proben genommen und ozeanographische Parameter gemessen. Zunächst haben wir eines der Bodenobservatorien in ca. 50 m Wassertiefe verankert, das wir am Ende der Reise gefüllt mit Messdaten wieder abholen wollen. Danach wurde die Wassersäule im Rhythmus von vier Stunden mit verschiedensten Methoden beprobt. Im Anschluss haben wir auf mehreren Stationen in Richtung Norden einen ozeanographischen Schnitt bis zum Schelfhang gefahren. Die tiefste Messung reichte dabei bis in 500 m Tiefe, wobei zwischen 200 und 350 m Wassertiefe atlantische Wassermassen zu beobachten waren. Hier arbeiteten wir nahe der Eiskante, die in diesem Jahr sehr weit im Norden liegt.

Dafür waren nicht zuletzt die vielen Seevögel, die unsere Stationsarbeit Tag und Nacht beobachteten, ein untrügliches Zeichen. Bei den ozeanographischen Messungen zeigten sich an vielen Stationen in diesem Jahr höhere Wassertemperaturen als im vergleichbaren Zeitraum vorangegangener Expeditionen.

Heute Abend laufen wir mit einigen kurzen Stopps zum Messen ozeanographischer Parameter zur ersten Bohrposition der KIMBERLIT, wo wir nach dem Ausbringen des zweiten Bodenmessobservatoriums eine weitere Langzeitstation für mindestens 34 Stunden durchführen wollen.

Mit herzlichen Grüßen aus der Laptewsee von KIMBERLIT und YAKOV SMIRNITSKIY,

H. Kassens, K. Tuschling und die TeilnehmerInnen der TRANSDRIFT-VIII- Expedition

 

Wilkizkistraße, 20. September 2000

Diesmal kommt der Wochenbericht etwas verspätet, da wir während der letzten Tage bei einem starken Sturm, der alle Arbeiten, auch die geistigen, unmöglich machte, die Laptewsee durchquert haben. Wir befinden uns zur Zeit auf der Rückreise und warten auf den Eisbrecher YAMAL, der uns durch die Wilktzkistraße, wo sich bereits neues Eis gebildet hat, geleiten wird. Seit gestern Nachmittag sind nun alle Expeditionsteilnehmer wieder auf der YAKOV SMIRNITSKIY. Wegen der rauhen See konnten bisher nur die Wissenschaftler und ein kleiner Teil des Expeditionsgutes von der KIMBERLIT gebracht werden. Wir hoffen aber auf ruhiges Wetter nach der Wilkizki-Passage und versuchen dann, den Rest der Fracht umzuladen.

Am Samstag, dem 15. September, haben wir unsere Forschungsarbeiten in der Laptewsee beendet. Zusammenfassend war es eine kurze, aber wissenschaftlich sehr interessante Expedition mit vielen unerwarteten Ergebnissen. So haben wir an Bord der KIMBERLIT in nur fünf Tagen fünf Bohrungen durchgeführt. Das Bohrschiff KIMBERLIT wurde 1985 in Dienst gestellt und ist mit einer Gesamtlänge von 54 m deutlich kleiner als die YAKOV SMIRNITSKIY. Sie ist ein Arbeitsschiff mit wenig Komfort und wenig Raum für Wissenschaft. Trotzdem wurden die Arbeiten von den zwanzig Mann Besatzung, sieben Bohrtechnikern und uns fünf Wissenschaftlern in sehr guter Atmosphäre durchgeführt. Ein Großteil unserer Arbeiten fand an Deck statt, wo die Mannschaft einen Unterstand, die sogenannte "Haifischbar", für uns gebaut hatte. Das eingespielte Bohrteam, das sein Können auch bei der erfolgreichen Bergung eines defekten Meeresbodenobservatoriums unter Beweis stellte, hat sehr gute Sedimentkerne für uns gewonnen, deren Analyse und Auswertung in den nächsten Jahren sicher viele Meeres- und Landgeologen beschäftigen wird. So haben wir erstmals in der sibirischen Arktis nur wenige Meter unterhalb des Meeresbodens Permafrostablagerungen durchteuft. Diese Relikte der letzten Eiszeit haben uns alle sehr fasziniert und wir entdeckten in jedem neuen Kernmeter Überraschungen, z.B. bis zu drei Zentimeter große Eiskristalle mit schön ausgebildeten Kristallflächen. Oder auch perfekt konservierte Pflanzenreste, die uns später helfen werden, die Sedimente räumlich und zeitlich einzuordnen.

Auf der YAKOV SMIRNITSKIY wurden nach der Bergung der Bodenobservatorien die mehrere Tage umfassenden Datenreihen mit den Ergebnissen der Messungen vom Schiff verglichen. Dabei zeigten sich faszinierende neue Einblicke in die Dynamik der kleinskaligen Strömungsprozesse und den daran gekoppelten Transport von Schwebstoffen. So konnte z.B. ein starker Sedimenttransport von höher gelegenen Sandbänken in tiefere Rinnensysteme auf dem Schelf belegt werden. Wie schon die früheren Ergebnisse der Meeresbodenobservatorien vermuten ließen, konnten nun nach ersten Zählungen deutliche Unterschiede in der vertikalen Verteilung der Zooplankter zu den verschiedenen Tageszeiten festgestellt werden.

Die Stimmung an Bord ist gut, wir sind alle gesund und freuen uns auf einen Spaziergang nach der Ankunft in Archangelsk am 26. September.

H. Kassens, K. Tuschling und die Teilnehmer der TRANSDRIFT-VIII-Expedition